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In Venedig höre ich die Steine.
Ich sehe nicht die Farbe des Meeres
aber ich höre die Farbe des Wassers,
sagte Nono.

Bettina Ehrhardt

 

Podiumsdiskussion am 20. April 2002

Moderation: Katrin Rabus, Initatorin und Organisatorin von „Look of the Sound“

Uli Aumüller, Regisseur des Films „Musik für tausend Finger“
Bettina Ehrhardt, Produzentin des preisgekrönten Films „Eine Kielspur im Meer – Abbado, Nono, Pollini“
Bruno Monsaingeon, Filmemacher
Jonathan Haswell, Regisseur des Films „Strawinsky“, betreut die Reihe Masterwork im BBC-Fernsehen
Dr. René Karlen, Intendant des Berner Sinfonieorchesters
Dr. Lothar Mattner, Redakteur beim WDR-Fernsehen

Rabus: Es ist Konzept dieses Festivals, verschiedene europäischen Sichtweisen zusammenzuführen – um eventuell gemeinsam Strategien zu entwickeln, wie es weitergehen kann. Herr Dr. Mattner, wie beurteilen Sie Kunst- bzw. Künstlerfilme wie den Kagel-Film?

Mattner: Die Frage ist immer, wie man etwas, das aufs Ohr zielt, auf dem Bildschirm darstellen kann. Man kann ein Orchesterfugato hören; aber es gelingt niemandem, das adäquat auf den Bildschirm zu bringen. Das ist optisch unmöglich. Daher befinden wir uns in einer durchaus ehrenhaften Diskussion, einer ästhetischen Diskussion der Kohärenz, der Synästhesie der Künste. Gehen sie zurück bis zu Debussy, bis zu Händels Wassermusik, wie weit auch immer: Das Problem der gleichzeitig optischen und akustischen Wahrnehmung war immer virulent.

Gestern wurde geschimpft, dass das Fernsehen nur abgefilmte Konzerte zeigt und langweilige Opern überträgt. Der Eindruck trügt. Das zeigen Extrapolierungen dessen, was in den letzten 20, 30 Jahren an Musikfernsehen in ARD, ZDF, Frankreich, Skandinavien und anderen Ländern gemacht wurde. Da wurde das Zusammengehen der Künste – zumal auf einem so kleinen Bildschirm – auf unterschiedlichste Weisen zu lösen versucht. Durch Formen der Konzertübertragung, die einen enormen dokumentarischen Wert haben – wie die phänomenalen Aufnahmen mit Maria Callas oder von Furtwängler. Dann natürlich die eigentliche Dokumentation: In keinem anderen Medium kann so stark und direkt an Künstler und ihre Arbeit herangegangen werden wie im Film. Nirgendwo sonst kann man eine so starke Identifikation mit Künstlern erlangen – sofern es Raum lässt für Klänge. Im WDR versuchen wir schon lange, mit spezifisch künstlerischen filmischen Mitteln zu arbeiten. Auch Bruno Monsaingeon und Toni Palmer haben musikalische Momente in filmische Gestaltungsweisen integriert. Viele der Filme sind Meisterwerke.

Was sich insgesamt verändert hat, ist die Art Wirklichkeit wahrzunehmen: Wir nehmen kein integrales Ganzes mehr wahr, sondern nur Bruchstücke, die schwierig zu integrieren sind. Das gilt besonders auch für das Medium Musik im Fernsehen, das ja strukturell stark geprägt ist und von der ersten bis zur letzten Note im eigentlichen Sinne komponiert. Ich habe keine Lösung, ich weiß nur, dass wir uns in einem gewaltigen Umbruch befinden, den wir produktiv aufgreifen müssen. Vielleicht erfinden wir auch etwas Neues. Ansätze gibt es in Filmen, die diese neue Art der Wahrnehmung haben und diese neue Art der Sensibilität und die aus dieser neuen Art schöpfen und sie nutzen.

Karlen: Als ich 1986/85 als Redakteur bei der NZZ anfing, dachte ich, ich muß mir jetzt alle diese Konzert- und Opernverfilmungen und Komponistenporträts ansehen, die so höchstdidaktisch sind und langweilig. Da soll ich dann kritisch draufschauen und drüber schreiben. Aber dann gab es ein Festival mit Musikfilmen in Prag. Erst gab es die ganz normalen Haydn-Portraits: Wo wurde er geboren, wie verlief seine Karriere? Manches mit guten Musikbeispielen garniert – und das Fachpublikum immer kurz vorm Eindösen. Aber dann kam ein Film über einen kanadischen Komponisten, den kein Mensch kannte, über John Weinstein, einen der ersten Zwölftöner. Der warf alles über den Haufen, was bisher für Komponistenportraits galt: Man stülpte ihm einen Helm über und stellte ihn ins Tor der nationalen Eishockeyliga. Das Ganze hart geschnitten und mit der Zwölftonmusik. Ab da wurde es spannend. Wenig später gab es dann sogar Opern, die fürs Fernsehen produziert wurden. Die Engländer sind wieder die Innovativsten in diesem Bereich.

Man sollte das auf den Bildschirm bringen, was für ihn produziert ist – wie die schwedische Regisseurin, die die Rangströmoper „Die Kronbraut“ nach Strindberg verfilmte, ein wunderbares Stück, das beste von Rangström. Kaum jemand kennt es, weil es kaum auf die Bühne zu bringen ist. Das ist viel spannender, als wenn man sagen muß, das eignet sich nicht fürs Fernsehen und deshalb lassen wir es.

Inzwischen sind wir, glaube ich, schon fast wieder froh, wenn wieder mal didaktisches reinkommt. Uli Aumüller erzählte gestern, er dürfe das gar nicht machen. Der Redakteur würde ihm einen langen didaktischen Vorspann gleich wieder ausreden. Das ist schade. Musik braucht ja auch Hintergrundinformationen.

Rabus: Wie, Herr Monsaingeon, stellen Sie Personen vor und geben dem Klang Raum – ohne dass das Bild den Klang zerstört?

Monsaingeon: Entweder mache ich es auf einfache Weise und gehe gar kein Risiko ein. Das Kunstwerk selbst steht dann im Vordergrund: eine Einstellung, keine Schnitte. Oder man nimmt die komplizierteste und künstlichste Form. Dann müssen Musik und Bilder miteinander verbinden werden. Die Gefahr ist, dass es wie ein Kunstprodukt aussieht, obwohl es natürlich wirken sollte. Es eignet sich auch nicht jedes Kunstwerk dafür. Man muß genau aussuchen, welche Stücke und Interpreten sich für die Kamera eignen.

Haswell: Wenn ich Sendungen über Kunst mache, versuche ich, ein Kunstwerk zu machen. Ich bin kein Künstler, aber ich versuche ins Bildhafte zu übertragen, wie die Musik auf mich wirkt. Dabei sind Ton und Bild für mich immer Partner.

Mosch: Ich glaube, man unterschätzt die Zuschauer häufig. Ein Film ist ja kein Medium, das bis ins letzte Detail verstanden werden muss. Man wird immer etwas verpassen, man wird Teile verstehen und jeder wird anderes verstehen.

Vor einigen Jahren machten wir in Basel die Ausstellung „Musikmanuskripte“ mit illuminierten Handschriften von Mahler, Schubert, Beethoven und anderen in einem Museum für Mascheinenkunst. 15.000 Besucher kamen. Viele, die auf ein Werbeplakat nie reagiert hätten, blieben einfach hängen. Menschen haben anscheinend ihre eigenen Zugänge, Menschen, bei denen wir vermutet haben, dass sie keinen Zugang haben. Das Publikum ist sehr viel komplexer, als gemeinhin angenommen wird.

Dr. Frei: Seit langem passiert es mir hier zum ersten Mal wieder, dass über Musik diskutiert wurde, über Ästhetik, über Inhalte, über Regisseure, über all diese wesentlichen Fragen. Danke! Denn normal sind heute Co-Productions-Gespräche, also Verkaufsgespräche, bei denen es nur ums Geld geht. Im Internationalen Musikzentrum (IMZ), der Vereinigung der internationalen Fernsehproduzenten und -anstalten, in diesem weltweiten Gremium gab es seit Jahren kein Gespräch über Ästhetik und ähnliches.

Durch Herrn Monsaingeon wurde Glenn Gould den Menschen bekannt. Er, der sich bewußt zurückgezogen hat, sich dieser Arena nicht mehr ausgesetzt hat, diesen Druck nicht mehr ertragen konnte, dieser feinste aller Interpreten. Monsaingeon hat ihn eingefangen auf eine kongeniale und damit geniale Weise. Das allein schon rechtfertigt das Medium Musikfilm. Die anderen drei, die etwas jüngeren, Regisseure haben sich hier am Ende sogar getraut von Liebe zu sprechen zu ihrem Beruf, von Liebe die sie einbringen, die sie fühlen. Ich hoffe, dass das in die Herzen und Köpfe der Entscheidungsträger reinkommt – und nicht weiterhin Musikredaktionen abgeschafft werden, wenn der letzte Musikredakteur nach Hause geht oder das Pensionsalter erreicht hat.

Ich habe einige Liveübertragungen vom Prom gesehen, von der BBC, da möchte man unbedingt dabei sein, die sind so gut gemacht, davon könnte man lernen, dass könnte man auch in Deutschland machen.

??: Diskussionsforen gibt es durchaus. Nächste Woche treffen sich Vertreter von EBU und IMZ in Wien um über ähnliche Probleme zu sprechen. Danach haben wir EBU-Sitzungen mit Kollegen aus Litauen und Portugal um ebenfalls darüber zu sprechen, wie man europaweit Musik im Fernsehen aufrecht erhalten kann. Ein Musikkanal der ARD kann dafür ein Forum bilden. Da könnten sich ganz andere Perspektiven entwickeln als in den traditionellen Rundfunkanstalten.

Dr. Karlen: Als Intendant eines Orchesters und Programmgestalter weiß ich, dass man dauernd versucht ist, das Publikum zu unterschätzen. Man spielt keine zeitgenössische Musik, weil man das Publikum dafür für zu dumm hält, stattdessen wird alles zwischen Beethoven und Brahms abgehandelt. Aber man sollte auch nicht zu sehr hoffen, dass die Menschen besser werden durch musikalische Völkerverständigung. Böse Menschen singen bekanntlich die lautesten Lieder.

Bach sagte übrigens, Musik diene der Rekreation des Gemüts. Das Fernsehen tut nicht eben viel für die Rekreation des Gemüts. Ein paar mehr Musikprogramme mehr daher ganz gut tun.

Rabus: Radio Bremen produziert aus den Mitschnitten dieses Festivals einen zwei- bis dreistündigen Themenabend, der den Sendern der ARD und Schweiz zur Verfügung steht.

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