Musik sehen
Seit 2002 veranstaltet die Bremer Galeristin Katrin Rabus in Zusammenarbeit mit den Sendern der ARD, der Deutschen Welle und Arte, sowie der Stadt Bremen das Internationale Fernsehforum für Musik unter dem Motto „Der Blick auf den Klang“. Vom 11. Bis 14. März fand es jetzt zum fünften Mal statt.
„Ich glaube nicht, dass das Interesse an klassischer Musik an einem Tiefpunkt angelangt ist. Aber zweifellos muss man sich heutzutage in unserer extrem „geräuschvollen“ Medienlandschaft lautstark zu Wort melden.“ Peter Maniura, Chef der Klassischen Musik beim BBC Fernsehen, von dem diese Feststellung stammt, hatte im vergangenen Jahr eine spektakuläre Idee, ein breiteres Publikum zu gewinnen. Stars des öffentlichen Lebens, die keine Musiker sind, wurden zu einem Dirigenten-Wettbewerb eingeladen. Ein politischer Kommentator, eine Schauspielerin, eine Komikerin mussten ins kalte Wasser springen und ein „echtes“ Sinfonieorchester dirigieren. Danach bekamen sie Unterricht, mußten wieder dirigieren und schließlich durften die zwei besten im Finale Beethovens Fünfte präsentieren. Der gesamte Prozess wurde zur „Primetime“ in verschiedenen BBC-Programmen dokumentiert.
Peter Maniura erläuterte die ebenso verrückte wie zündende Idee beim fünften Bremer Fernsehforum mit großen Enthusiasmus: „Man nimmt das Medium Fernsehen und spielt damit, und man vertraut auf die Kraft der Musik. Das ist das Entscheidende: Die Musik wird nicht verändert, nicht verraten! Aber wir haben Elemente des Reality TV genommen, Elemente von Unterhaltungsshows, von Dokumentarfilmen, von Wettbewerben. Es gibt ja tatsächlich etwa den Karajan-Dirigenten-Wettbewerb.“ Das Finale fand rund um das legendäre Londoner Proms-Festival statt.
Intelligenter, unterhaltsamer, kann man kaum in eigener Sache werben, und gleichzeitig dem Bildungsauftrag des Fernsehens gerecht werden. Der Verkauf und die Internetabrufe von Beethoven Fünfter schnellten in der Folge um 40 Prozent in die Höhe. Von einem ähnlich spektakulären Format berichtete Thomas Beck, Kulturchef beim Schweizer Fernsehen. Im letzten Jahr versetzte man Verdis „La Traviata“ zur „Primetime“ in den Zürcher Hauptbahnhof. Die Quoten waren über 35 Prozent, die Traviata-Vorstellungen in der Zürcher Oper danach ausverkauft.
Das Bremer Fernsehforum wird in einem Turnus von ein bis zwei Jahren von der Galeristin Katrin Rabus realisiert. Unterstützung kommt von den Sendern der ARD, der Deutschen Welle und Arte. Katrin Rabus, die mehrere Jahre Mitglied im ARD Rundfunkrat war, wählt aktuelle Filme und Themen mit unterschiedlichsten Blickwinkel aus. Neben einem facettenreichen Filmprogramm, das aktuelle filmische Darstellungen von Musik aus Klassik und Moderne präsentierte und neue Trends im Musikfilm aufzeigte, gab es Diskussionsforen mit international renommierten Regisseuren, Produzenten und Fachleuten, etwa zu Konzert-Formaten im Internet oder neuen Musik-Formaten im Fernsehen. Einer Größe aus den Anfängen des Musikfilms widmete sich Georg Wübbolts „Filmstar Karajan“. Karajan war der erste Dirigent, der eigene Filmproduktionen schuf und das neue Medium gekonnt zur Selbstinszenierung nutzte. Außerdem wurden zwei Filme über das Jugendorchester von Venezuela und die sozialen Hintergründe der Mitglieder gezeigt.
In jedem Jahr steht ein Regisseur im Mittelpunkt des Bremer Fernsehforums. 2009 war es der Kanadier Larry Weinstein, der seine Themen sehr offen und phantasievoll, mit einem wunderbaren musikalischen und psychologischen Gespür und einer kunstvollen Bildtechnik umsetzt und so besonders einem Laienpublikum Komponisten nahebringt. „September Songs“ über Kurt Weill ist ein Art Revue, „Ravels Gehirn“ dokumentiert medizinische Aspekte der tödlichen Krankheit des Komponisten, „Mozartkugeln“ nimmt den Mozart-Fanatismus in aller Welt auf humorvolle Weise unter die Lupe.
Ganz anders dagegen ist etwa die Gestaltung in Oliver Beckers Film „Dem kühlen Morgen entgegen“ über Dmitri Schostakowitsch. Becker setzt auf Prominenz und Originalität. Da ist einerseits der bekannte Schauspieler Armin Müller-Stahl, der im Film die Rolle des Regisseurs hat, der sich auf die Spuren des großen russischen Komponisten begibt. Andererseits lässt Oliver Becker Schostakowitschs Leben durch Spielszenen mit Marionetten-Figuren darstellen. Er vermeidet so die oft banal wirkenden nachgestellten Szenen. Der Bruch mit dem Bekannten ist stark, der Effekt ist, dass durch die künstlerische Verarbeitung, emotionale Facetten stärker in den Blick rücken.
Beim Bremer Fernseh-Forum wurde ein erfreulich breites Spektrum des Umgangs von Musik in Film und Fernsehen geboten. Auffällig war, dass Regisseure meist nach einem originellen Zugang suchen, nach poetischem Umgang, um ihr Thema darzustellen. Selten tritt der Regisseur als Interviewer im Film in Erscheinung. Man versucht mit den verschiedensten Mitteln eine Geschichte zu „komponieren“. „Es regt mich auf“, so der französische Regisseur Bruno Monsaingeon, „wenn Filme einen Kommentator brauchen, der dem Zuschauer sagt, was er denken soll. Man muss doch die Tür offen lassen für eine Interpretation. Höchstens in kurzen informativen Filmen kann ich mir einen Kommentar vorstellen, ansonsten halte ich dieses Mittel für Faulheit und Schwäche, das auszugleichen hat, was man dem portraitierten Künstler nicht „entlocken“ konnte.“ Monsaingeon ist einer der Stars Musik-Film-Szene, er hat bereits legendäre Portraits über Yehudi Menuhin, Glenn Gould, Swjatoslaw Richter oder David Oistrach realisiert. „Es geht darum, dass man versuchen muß, ein individuelles Gefühl in ein Gefühl zu übersetzen, das eine universelle Aussage hat. Das bedeutet es, einen Film zu machen.“ Monsaingeon portraitiert in seinem jüngsten Film den polnischen Pianisten Piotr Anderszewski, der – ähnlich wie Chopin – seine polnische Heimat verlassen hat und in Paris und Lissabon lebt, aber sein polnisches Herz nicht verleugnet. Monsaingeon findet ein ungeheuer starkes poetisches Ausdrucksmittel, um die Rastlosigkeit Anderszewskis darzustellen. Große Teile des Films spielen in einem Zug, der durch die winterliche polnische Landschaft fährt. Für den Film spielt Anderszewski im Zug auch Klavier.
Ein schöner Kontrast zu den innovativen Fernsehformaten und den unterschiedlichen Regie-Handschriften war in Bremen die Präsentation einer über vierzig Jahre alten Verfilmung von Beethovens „Eroica“ mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan durch den heute 78jährigen Regisseur Hugo Niebeling. Karajan lehnte Hugo Niebelings kongeniale visuelle Umsetzung von Beethovens Eroica damals ab. Vermutlich war ihm Niebelings eigene künstlerische Handschrift zu stark. Jetzt wird der Film jedoch bald – vermutlich auf 3sat – mit Einverständnis von Karajans Erben gezeigt werden. Dass das Orchester zum Playback spielt, sieht man nicht. Nur so sei die Fülle der Einstellungen möglich, erklärt Hugo Niebebling, 996 Schnitte habe „seine“ „Eroica“. Beim Schluß des ersten Satzes zum Beispiel, dem Höhepunkt, steigert sich auch das Tempo der Schnitte. Im Bild schreit einen wie ein offener Mund ein weiter Trompeten-Trichter an, davor wirbeln die Paukenklöppel, die Kontrabassisten streichen ihre Achtel mit ungeheurer Dynamik, und Herbert von Karajans kraftvoller Händeschlag wechselt im Rhythmus mit den Paukenschlägen. Es scheint als zuckten Blitze, so schnell sind die Bildschnitte. Das wirkt ungeheuer modern. Diese faszinierende Bildtechnik, die eine zusätzliche Dimension zu Beethovens Musik und zu Karajans Interpretation ergibt, hat Hugo Niebelung auch schon bei Beethovens „Pastorale“ angewendet. Dieser Produktion stimmte Karajan zu. Es gibt sie auch als DVD. Begeistert erzählte Hugo Niebeling von einem Kommentar, den ihm einmal ein Franzose sandte: „Hier kann man Musik sehen!“
Elisabeth Richter